es ist frueher nachmittag, die sonne scheint
am wolkenlosen himmel, der kuestenwind weht wie so oft recht kraeftig. ich schnapp
mir den grossen rucksack und wandere rauf zum lebendigen markt unseres viertels
playa ancha. auf dem weg hadere ich mal wieder mit den streitsuechtigen
strassenhunden, halte zwischendurch inne und bestaune wie eh und je diese
einzigartige szenerie unserer neuen heimat: den hell schimmernden pazifik, die
bunten haeuser auf den huegeln, die grossen frachter in der bucht. oben
angekommen scherze ich mit den haendlern oder sie eher mit mir, und lade mir die
taschen voll mit frischem obst und gemuese aus der region. verschwitzt kehre
ich dann zurueck in unsere wohnung, wir kochen deutsch, chilenisch,
italienisch. waehrenddessen laeuft der deutschlandfunk im internetradio und
informiert uns ueber fluechtlingspolitik, vw-skandal und die
vierschanzentournee.
ist die arbeit fuer den tag getan, zieht es
uns oft nochmal kurz an den strand. wir hoeren dem meer zu und den
cumbia-klaengen des toiletten-personals. uns umgibt eine wuselige menge badegelaunter
familien und eine ganze schar an haendlern, die geduldig, laut schreinend oder
mit schrillen troeten eis und empanadas, pastel de choclo, gekochte eier und hotdogs,
kindertattoos, sandspielzeug oder massagestunden anpreisen. den restlichen feierabend
lassen wir geruhsam ausklingen mit eindruecken aus der chilenischen
nachrichtenwelt im fernsehen – oder dem neuen tatort aus der ard-mediathek.
und an den wochenenden tauchen wir tiefer in
unsere stadt ein, besuchen ausstellungen, reisen in das umland. oder wir brechen
auf nach santiago. mit dem bus fahren wir durch die malerische weinlandschaft
der bergigen region valparaísos, waehrend ich die aktuelle ausgabe der
sueddeutschen zeitung auf dem e-reader lese. den zweiten teil der fahrt verbringen
wir in der platzarmen metro, bei der man sich zu hochzeiten einen quadratmeter
zu siebt teilt. im elternhause gómez geniessen wir die zeit mit der familie und
mit freunden. auch skypen wir mit unseren liebsten in deutschland. dort liegt
der schnee, bei uns drueckt die hitze. oder wir besuchen mal oma lila und opa fernando,
dem vater von fernandas vater fernando. gemeinsam nehmen wir „once“, trinken
tee und essen brot mit avokado und tomaten. vor der tuere treiben schafe und
huehner, hunde und katzen umher. nach wie vor kuemmert sich das ehepaar auch
mit ueber achtzig jahren aufopferungsvoll um ihre kleine farm...
chile. wir sind hier mittendrin, fuehlen uns
voll und ganz involviert und gut integriert in die vielschichtige realitaet des landes - und leben doch in einer art zwitterwelt. tief sind wir eingebettet in
der chilenischen kultur, verzueckt von der chilenischen natur, hadern mit
chilenischen strukturen. gleichzeitig greifen wir zurueck auf ein deutsches
netzwerk und deutsche medien, auf ein deutsches konto und die deutsche
krankenversicherung. die errungenschaften der globalisierung geben viele
freiheiten und ermoeglichen uns ein grenzueberschreitendes lebenskonzept, den
kompromiss unserer welten.
keine frage, unser lebensstil verlangt seine
opfer: ferne und heimweh, ungewissheit und risiko, kraefteraubende umstaende,
missverstaendnisse und fremde – das alles gehoert dazu. doch bekommen wir viel
zurueck. wir sind so ungebunden, fuehlen uns so inspiriert und ergriffen. nationalitaet rueckt
in den hintergrund, traditionen verschwimmen,
die welt waechst zusammen.
nur zeigt sich ein leben zwischen den grenzen nicht fuer alle von so dieser unbefangenen seite – ganz im
gegenteil. dass unsere unabhaengigkeit absolut keine selbstverstaendlichkeit
ist sondern vielmehr ein riesiges und recht einmaliges glueck, wird umso klarer,
wenn wir um uns herum schauen. vielerorts wie gerade diese monate auch in europa und
deutschland wird migration in erster linie von not und elend bestimmt. oder wenn
wir zurueckblicken. fernanda wurde in eine zeit der chilenischen diktatur
geboren, ich im abgeschotteten ddr-regime. wir empfinden es als grosses
geschenk, dass wir die chance haben, so autonom zu leben, ueber unseren wohnort
frei entscheiden, gar, dass wir ueberhaupt zu einander finden konnten.
heute vor 12 monaten landeten wir in santiago.
nun geht unserer erstes gemeinsames jahr in chile zu ende. auch der blog geht
hiermit zu ende. und doch ist noch so vieles so offen, dies nur eines von
vielen kapiteln eines spannenden und dicken buches, das wir mitgestalten
duerfen, das bislang so viele schoene geschichten, wendungen und pointen
fuer uns bereit hielt. wir sind dankbar fuer diese chancen und die vielen menschen, die uns stets
so treu, hilfsbereit, nah und herzlich zur seite standen. danke euch. und danke
eurer interessierten leserschaft ueber all die monate. ihr seid teil dieses
buches.